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50 Jahre Partnerschaft Langengrassau – Linz

50 Jahre sind eine lange Zeit - auch für eine Partnerschaft. Ehepartner feiern nach 50 Jahren ihre Goldene Hochzeit in Dankbarkeit, denn es ist nicht selbstverständlich, dass man das erlebt. In 50 Jahren kann viel geschehen. Auch wenn eine Partnerschaft zwischen zwei Kirchengemeinden keine Ehe ist, so gibt es doch Ähnlichkeiten. Eine Partnerschaft stellt eine Bereicherung des Lebens für beide Partner dar. Unsere Gemeinde ist durch die Partnerschaft mit Langengrassau innerlich bereichert worden. Unser geistlicher Horizont wurde erweitert. Es kam zu vielen persönlichen Freundschaften. Dafür sind wir von Herzen dankbar.

 

50 Jahre sind eine lange Zeit. Das merkt man am besten, wenn man sich an die Anfänge erinnert.

Im Jahre 1953 waren die Bundesrepublik (BRD) und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) erst vier Jahre alt. Die Bundesrepublik erlebte einen wirtschaftlichen Aufschwung, das so genannte „Wirtschaftswunder“. In der DDR diktierte allein die SED das politische Geschehen, lähmte die Wirtschaft, unterdrückte die Meinungsfreiheit und richtete gegen die Kirchen ihre atheistische Propaganda. Die Kirchensteuer wurde abgeschafft, der Religions-

unterricht in den Schulen aufgehoben und die Konfirmation zugunsten der Jugendweihe angefeindet. Die „junge Gemeinde“ wurde als illegal diffamiert. Kurzum: die Politik der jungen DDR war kirchenfeindlich. Die Kirchengemeinden gerieten in eine äußerst schwierige Lage.

Die von den Gemeinden eingesammelten Beiträge ihrer Mitglieder reichten nur zur spärlichen Besoldung ihrer Mitarbeiter, aber nicht für dringende Restaurierungen ihrer vom Verfall bedrohten Gebäude, geschweige denn für geringe Neuanschaffungen.

 

In dieser Situation beschloss im September 1953 das Hilfswerk der Evangelischen Kirche im Rheinland, den Gemeinden so genannte Patengemeinden aus der Evangelischen Landeskirche von Berlin-Brandenburg zuzuweisen. Der Sinn war, die Verbundenheit der Kirchen über die politische Teilung Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg zu erhalten und die Patengemeinden finanziell und materiell zu unterstützen. Das Hilfswerk wies Langengrassau den Gemeinden Linz und Bad Hönningen zu – mit der Bitte, monatlich ein Paket an kirchliche Mitarbeiter zu senden. Jedes liebevoll und sorgfältig gepackte Paket sollte neben der materiellen Hilfe (z.B. Kaffee, Kakao, Waschmittel, Textilien etc.) ein Zeichen der Zusammengehörigkeit über alle trennenden Grenzen hinweg sein – besonders nach dem Mauerbau 1961. Es war das Verdienst der Linzer Frauenhilfe, dass sie die Paketaktion zu ihrer Aufgabe machte. Besonders Frau Margarethe Klockner machte die Paketaktion zur Sache ihres Herzens. Sie war auch die erste, welche die Partnergemeinde besuchte, nachdem der junge Kirchmeister Hans Fritzsche sie aus Dresden zu seiner Familie abgeholt hatte.

 

So sah also der Anfang der Partnerschaft aus. Nachdem auch die Frauenhilfe Unkel/Rheinbreitbach unter der Leitung von Frau Jutta Henk sich daran beteiligte, konnten alljährlich zu Weihnachten 26 Pakete verschickt werden.

 

Vermittels der Paketaktion kam es zu persönlichen Kontakten. Briefe und Fotos wurden hin und her geschickt, und es kam auch zu gelegentlichen Besuchen hier und dort. Auf den jährlichen Treffen der Pfarrer in Ostberlin lernten die Pfarrer aus dem Westen die Kollegen ihrer Partnergemeinden kennen und haben viel von deren mühevoller, aber auch segensreicher Arbeit erfahren und neue Wege des Gemeindelebens kennen und schätzen gelernt.

 

Durch viele Berichte lernten die Linzer allmählich ihre Partnergemeinde kennen: die vier Dörfer, die dazu gehören –Langengrassau, Waltersdorf, Zöllmersdorf und Wüstermarke, jedes mit einer eigenen Kirche, das Presbyterium mit Kirchmeister Hans Fritzsche, die langjährigen Katechetin Frau Löser und die Pfarrer während der 50-jährigen Partnerschaft: Heinz Ewert, Günter Grigoleit und Frank Gehrmann. Sie hörten von der Arbeit in den beiden landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), in welchen die meisten Gemeindeglieder beschäftigt waren. Und wer Besuche machte, der lernte auch das weite hügelige Land der Niederlausitz kennen, das wie der nahe gelegene Spreewald seinen eigenen Reiz hat.

 

In 50 Jahren kann viel geschehen – soviel, das man gar nicht alles erzählen kann. So möchte ich nur noch einige besondere Partnerschaftstreffen erwähnen, von denen in den Gemeindebriefen der vergangenen Jahre übrigens von den Teilnehmern ausführlich berichtet worden ist. In Langengrassau spielte der Posaunenchor, der von Hans Fritzsche geleitet wurde und bis heute geleitet wird, eine wichtige Rolle nicht nur zur Verstärkung des Gotteslobes innerhalb der Gemeinde, sondern auch in der Öffentlichkeit als ein hörbares Bekenntnis dafür, dass die Gemeinde Christi trotz aller Widrigkeiten lebt. Als Frau Ursula Höfer vor 20 Jahren den Linzer Posaunenchor gründete, lag es nahe, den Kontakt zum Langengrassauer Posaunenchor aufzunehmen. Die Langengrassauer waren darüber sehr erfreut und luden die Linzer herzlich ein, gemeinsam das Erntedankfest 1988 zu feiern. Es geschah das Unglaubliche, dass 15 Bläserinnen und Bläser durch das diplomatische Geschick und das öffentliche Ansehen, das Hans Fritzsche genoss, die Einreiseerlaubnis erhielten. Die Linzer waren von der großen Herzlichkeit des Empfanges gerührt. Der festliche Gottesdienst mit den vereinten Posaunenchören in der 800 Jahre alten Feldsteinkirche wurde zu einem unvergesslichen Erlebnis.

 

Ein Jahr später kam es in der DDR – ausgehend von den Montagsgebeten – zu den Montagsdemonstrationen, und diese „Revolution der Kessen“ führte schließlich zur Öffnung der Mauer und zur Wende bis hin zur Vereinigung Deutschlands. Als uns Hans Fritzsche zu meinem 60. Geburtstag Anfang Dezember 1989 – also einen Monat nach Öffnung der Mauer in Berlin – besuchte, meinte er „ob nicht der gütige Gott etwas an der Schraube der Geschichte gedreht habe“. So kann man es als Christ sehen. Jedenfalls hat die drangsalierte Kirche in der DDR ihre politische Freiheit erhalten. Es blieben die finanzielle Not und die große Aufgabe, die Menschen, die 40 Jahre keinen Kontakt zur Kirche hatten, mit dem Evangelium zu erreichen.

 

Die Aufhebung der Reisebeschränkungen erschloß neue Möglichkeiten partnerschaftlicher Begegnung.

 

Auf Einladung unseres Presbyteriums besuchten uns im September 1990 - also noch vor der Vereinigung – fast dreißig Gemeindeglieder aus Langengrassau zusammen mit Pfarrer Gehrmann und seiner Familie. Die Frauenhilfe Linz unter der Leitung von Gisela Schmidt und ihres Teams sorgten für herzlichen Empfang und Betreuung sowie für das reiche Besuchsprogramm in Linz und Unkel, in Bonn, auf der Marksburg und auf dem Winzerfest. So konnten endlich nach 30 Jahren Partnerschaft die Langengrassauer ihre Partnergemeinde Linz persönlich kennen lernen.

 

Weitere Begegnungsmöglichkeiten wurden verwirklicht: 1992 eine Freizeit der Langengrassauer Konfirmanden in Linz unter Mitarbeit von Frau Höfer und Frau Weinhold, die sogar einen Besuch im Bundestag vermitteln konnte. Ein Jahr später erfolgte der Gegenbesuch. In den Osterferien leiteten Pastor Schoppmann und Pfarrer Schwaegermann die Freizeit der Linzer Konfirmanden in Langengrassau. Weitere Freizeitbesuche folgten.

 

Jahrzehntelang träumte die Gemeinde Langengrassau davon, die unter Denkmalsschutz stehende, aber vom Verfall bedrohte Pfarrscheune zu einem modernen Gemeindezentrum auszubauen. Dank vieler Spenden - darunter auch von unserer Gemeinde - konnte der Traum verwirklicht werden. Am Erntedanktag 2000 war die feierliche Einweihung, bei der auch unser Posaunenchor mitwirkte.

Über die Feier des Jubiläums der 50-jährigen Partnerschaft am Sonntag, dem 2. Februar 2003, wird noch berichtet werden.

 

„Partner sind Weggefährten. Sie sind miteinander der Wahrheit Gottes auf der Spur - der Wahrheit, dass Gott in Jesus Christus uns seine ganze Liebe und sein Heil schenkt.“ Dies hat einmal Pfarrer Gehrmann in seiner Andacht in unserem Gemeindebrief geschrieben. Der Weg der Weggefährten wird weitergehen – den Partnergemeinden zum Segen.

 

Helmut Schmidt, Pfarrer i.R.